Twitter stellt in den nächsten Tagen seine Timeline von einer chronologischen auf eine algorithmische Darstellung um. Dadurch werden Feeds auf Basis einer Relevanzberechnung selektiert. Dieses Vorhaben birgt jedoch einige Risiken für das Unternehmen.
Immer mehr Eigenschaften, die Twitter ursprünglich ausmachten, werden in Frage gestellt. Vor allem der mögliche Wegfall der 140-Zeichen-Grenze für Tweets sorgte schon für reichlich Diskussion.
Eine weitere Änderung könnte Twitters ursprüngliches Grundmodell komplett in Frage stellen: Wie berichtet wird, soll in den nächsten Tagen die Erstellung der Timeline von einer chronologischen Reihenfolge auf eine algorithmische Selektion umgestellt werden. Das bedeutet konkret: Es werden nicht mehr automatisch alle Feeds derjenigen, denen man folgt, in umgekehrter zeitlicher Folge angezeigt (neueste Nachrichten zuerst), sondern es findet eine Gewichtung und Selektion der Feeds auf Basis eines oder mehrerer Algorithmen statt. Dabei sollen Faktoren wie Relevanz und Popularität eine Rolle spielen. Hier zeigt sich das erste Problem: Niemand weiß genau, nach welchen Kriterien die Ausspielung geschieht.
Twitter-Zentrale in San Francisco. (Bild: Flickr-Anthony Quintano / CC-BY-2.0 )
Twitter versucht schon seit längerem, für neue Nutzer attraktiver zu werden. Für Einsteiger ist es oft schwierig, die passenden Teilnehmer zu finden, denen man folgen sollte, um für die eigenen Interessen möglichst interessante Tweets angezeigt zu bekommen. Daher springen viele Nutzer nach kurzer Zeit wieder ab.
Eine der Maßnahmen, die getroffen wurden, um den Twitter-Feed für die Nutzer attraktiver zu machen, ist die Funktion "Während Du weg warst". Unter dieser Überschrift erhalten die Nutzer ausgewählte Tweets, die seit der letzten Verwendung von Twitter erschienen sind.
Eine neue Sortierung und Selektion der Tweets soll für weitere Verbesserungen sorgen. Allerdings birgt das auch die Gefahr, dass eigentlich interessierende Tweets nicht angezeigt werden. Das könnte vor allem dann ein Problem werden, wenn Nachrichten und Ereignisse vom Algorithmus nicht oder zu spät als relevant und populär erkannt werden. Twitter hatte gegenüber Facebook meist den Vorteil, dass sich Trends früher verbreiten konnten. Bis eine Nachricht auch im Facebook-Feed erscheint, kann es mitunter recht lange dauern - wenn es überhaupt geschieht.
Mögliche Rankingfaktoren des neuen Twitter-Algorithmus
Wie bereits erwähnt sind die genauen Kriterien, nach denen die Twitter-Algorithmen arbeiten, nicht bekannt. Es gibt aber einige Kriterien, die mit ziemlicher Sicherheit eine Rolle spielen werden:
- Die Zahl der Follower desjenigen, der einen Tweet absendet
- Die Popularität der Follower des Absenders
- Das Verhältnis der Followerzahl und der Zahl der Personen, denen ein Ansender folgt
- Die Popularität eines Themas bereits beim Versenden eines Tweets
- Die Zeitspanne bis zu den ersten Reaktionen auf einen Tweet
- Die Zahl der Reaktionen auf früherer Tweets des Absenders
Vorsicht vor Vertrauensverlust
Ein weiterer Kritikpunkt an der Umstellung: Zukünftig könnten kommerzielle Inhalte ein stärkeres Gewicht in der Timeline erhalten. Auch wenn Twitter dies sehr wahrscheinlich verneinen wird, ist der Nachweis bzw. der Gegenbeweis dafür nur schwer zu erbringen. Aus wirtschaftlicher Sicht könnte Twitter davon zumindest kurzfristig profitieren; langfristig würde ein Vertrauensverlust der Nutzer jedoch das Gegenteil bewirken.
Wenn es schlecht laufen sollte für Twitter, wird der Dienst in Zukunft nur als abgespeckte Version von Facebook wahrgenommen werden. Wenn es gut läuft, schafft Twitter die Vereinigung von Reaktionsschnelligkeit und Aktualität auf der einen Seite und der Auswahl möglichst relevanter und für die einzelnen Miglieder interessanter Tweets. Man wird abwarten müssen, wie sich die Neuerungen auswirken werden.